Bei den Berggorillas

Eine Reportage über einen Besuch in Uganda

 

Der Chef hat Pause: Ein Silberrücken ruht sich aus

Nebel durchflutet den Urwald

Lässt sich nicht stören: Ein Gorilla-Junges

 

 

Education is for all. Der blaue Schriftzug  auf der gelben Häuserwand am Ortseingang des Bwindi Nationalparks in Uganda verspricht Hoffnung und Bildung für alle.  Eine hehre Absicht, aber nicht realisierbar in einem Land, in dem fast 30 Prozent der über 14-Jährigen Analphabeten  sind und die wenigsten Familien die Möglichkeit haben, ihre Kinder in die Schulen zu schicken. 6,9 Kinder im Schnitt haben Familien in Uganda. Viele von ihnen sind arm. Die Väter haben keine Arbeit und der Nachwuchs keine Zukunft.  Die Kindersterblichkeit ist sehr hoch: 68 von tausend Babys sterben, bevor sie ein Jahr alt sind. 23 Prozent der Kinder unter fünf Jahren sind untergewichtig, Die Lebenserwartung beträgt durchschnittlich 52 Jahre.

 

Im Gegensatz zu den häufig Krieg führenden Nachbarn Südsudan, Ruanda und Kongo bemüht sich Uganda um Normalität. Der Aufbau des Tourismus, der sich vor allem im Süden des Landes langsam entwickelt,  soll zu einem wichtigen Standbein des 34 Millionen Einwohner zählenden ostafrikanischen Landes werden. Und hier hat Uganda etwas Besonderes zu bieten. Im Bwindi Impenetrable Nationalpark sind die letzten frei lebenden Berggorillas zu Hause. Nicht nur die Aussicht, einem „Silberrücken“ gegenüberzustehen, verursacht Herzklopfen. Das Trekking zu den Riesenaffen im Regenwald ist mit enormen körperlichen Anstrengungen verbunden. Veranstalter raten, nicht älter als 55 Jahre zu sein, um an diesen kräftezehrenden  Touren teilzunehmen. Nicht nur der Aufstieg ist für den „normalen“ Westeuropäer beschwerlich. Während einheimische Frauen  mit einem Kartoffelsack auf dem Kopf leichtfüßig an den Touristen vorüberziehen, klopft dem Wanderer vor Anstrengung das Herz bis zum Halse.  Wer Gorillas sehen will, muss leiden können und zahlungskräftig sein. 600 US-Dollar extra kostet der Besuch bei den Riesenaffen. Er ist jeden Cent wert.

 

Am frühen Morgen haben Ranger die Gorillas lokalisiert und per Funk ihren Standort durchgegeben. „Zu 98 Prozent finden wir welche“, sagt der Guide, bevor er die aus maximal acht Personen bestehenden Gruppen losschickt. Das Erlebnis, vor einigen der letzten Affen ihrer Art zu stehen, verschlägt einem den Atem. Etwas Aufregenderes gibt es nicht. Bwindi, der undurchdringbare Wald, wurde erst 1991 zum Nationalpark erklärt. Aufgrund seiner außergewöhnlichen Artenvielfalt und den hier lebenden Berggorillas, gehört Bwindi seit 1994 zum UNESCO Weltkulturerbe. Der Nationalpark am ostafrikanischen Grabenbruch liegt in einer Höhe zwischen 1160 und 2600 Metern und dehnt sich mit den steilen Berghängen und engen Tälern auf einer Fläche von 331 Quadratkilometern aus.

 

Steil ist auch der Aufstieg, der in einer Höhe von etwa 1500 Metern beginnt und immer steiler wird. Zum Glück hilft ein „Porter“, der einem den beschwerlichen Weg zu den Gorillas erleichtert. Er trägt den Rucksack, schiebt einen Abhänge hinauf oder nimmt einen an der Hand, wenn der Abstieg zu gefährlich ist. Das sieht zwar etwas unbeholfen aus, hilft aber tatsächlich in schwierigen Situationen. Und die gibt es reichlich auf dem Weg zu den Gorillas. Immer wieder werden Pausen eingelegt, dass auch die Letzten nachkommen können. Das Schlusslicht bildet immer ein Begleiter, der ein Gewehr geschultert hat.

 

Nach einem einstündigen Aufstieg mahnt der Ranger zur Stille. „Psst.“ Keiner aus der Gruppe sagt etwas. Selbst das Keuchen verstummt. Tatsächlich. Unter Ästen und Blättern hat es sich ein Gorilla-Weibchen bequem gemacht. Und verschlingt in aller Gemütlichkeit das Grünzeug. „Don´t move“, sagt der Guide. Nicht bewegen. Der erste spannende Moment, den man genießen muss. Die Beobachtung macht den Reiz aus, nicht das Fotografieren. Es ist ein erhebendes Gefühl, diesen mächtigen Affen gegenüber zu stehen. Geräuschvoll verschwindet der Gorilla nach einigen Minuten.

 

Der Ranger gibt das Zeichen zum Weitergehen. Mit einer Art Machete ebnet er uns den Weg durch den Regenwald. Wege, die noch niemand zuvor gegangen ist. Nach einer Viertelstunde bleibt er stehen, legt den Finger auf den Mund und deutet auf eine Stelle, wo es raschelt. Und dann der unvergessliche Augenblick. Ein „Silberrücken“, der Anführer der Gorilla-Familie, verzehrt keine fünf Meter entfernt, genüsslich das Pflanzenwerk. Wie versteinert stehen die Gruppenmitglieder  vor  dem Gorilla, dessen graue Haare auf einen Silberrücken hinweisen.  Totale Stille. Nur das Klopfen der Herzen der Besucher scheint man zu hören. Dabei ist es das eigene. Und was ist das, einige Meter weiter? Auf einem Baum turnt ein Gorilla-Baby herum. Ein außerordentliches Glück. Einen „Silberrücken“ mit seinem Nachwuchs zu sehen, ist etwas Außergewöhnliches. Jeder will seine Aufnahmen machen. Aber es gibt keine Drängelei. Die Trekking-Gruppe ist  sich des besonderen Augenblicks bewusst. Ein Stunde. Länger hat man nicht, um die mächtigen Tiere zu beobachten und zu fotografieren.  Wir ziehen uns zurück mit einem letzten Blick auf den schmatzenden Riesenaffen und seinen herumtollenden Nachwuchs.

 

Der Rückweg ist genauso beschwerlich wie der Hinweg. Die Natur entlässt uns wieder in die Zivilisation. Aber alle Strapazen sind vergessen bei dem Gedanken daran, etwas Großes und Einzigartiges gesehen zu haben.

Von dem Geschäft mit den Gorillas profitiert vor allem der Staat. „80 Prozent streicht die Regierung ein, 20 Prozent fließen zurück in die Region“, sagt Wayne, der Anführer der Gruppe.  Die Wanderungen zu den Gorillas sind limitiert. Pro Jahr ist nur eine bestimmt Anzahl von Besuchern zugelassen.  „Trotz der erfreulichen Zahlen ist die Art weiterhin extrem bedroht“, sagt Johannes Kirchgatter, Afrika-Referent beim WWF Deutschland. Im Bwindi-Nationalpark leben etwa 300 Gorillas. Im „Virunga Massiv“, einer Vulkanlandschaft im Grenzgebiet von Uganda, Ruanda und dem Kongo, leben noch 480 Tiere dieser Art. Der WWF hat nichts gegen Gorilla-Tourismus, solange er sich in Grenzen hält und der Lebensraum der Affen nicht eingeschränkt wird.  Die letzte Zählung 2010 hat einen Zuwachs von über  25 Prozent ergeben.

 

„Trotz der schwierigen politischen Lage in der Region ist das Ergebnis ein Beweis, dass die langjährigen Bemühungen zum Schutz der faszinierenden Tiere Früchte tragen“, freute sich WWF-Experte Kirchgatter.  Das „Gorilla-Watching“ habe sich zu einer wichtigen Einnahmequelle der Region entwickelt. Es sei wichtig, diesen Tourismus sanft zu entwickeln und für die Menschen in der Region neue Einnahmequellen zu erschließen. Hier liege der Schlüssel für erfolgreichen Naturschutz. Nach wie vor sind Wilderei und Lebensraumzerstörung die Hauptbedrohung für das Überleben der Gorillas. Menschenaffenfleisch gilt in manchen Gebieten Afrikas immer noch als Delikatesse.

 

Der Aufbau des Tourismus in Uganda ist generell schwierig. „Die Deutschen sind noch nicht bereit für dieses Land“, sagt Guide Wayne und liefert die Begründung gleich mit: „Idi Amin und Entebbe schrecken noch ab.“ Amin galt als Inbegriff eines brutalen Gewaltherrschers. Zwischen 300.000 und 400.000 Menschen sollen in den 1970er Jahren seiner achtjährigen Gewaltherrschaft zum Opfer gefallen sein. Der einstige Hilfskoch, Preisboxer und Feldwebel ließ die Leichen nach Augenzeugenberichten und Aussagen ehemaliger Armeeangehöriger den Krokodilen im Nil zum Fraß vorwerfen, weil nicht schnell genug Gräber geschaufelt werden. Entebbe steht als Synonym für Terror. Im Sommer 1976 wurde ein Flugzeug durch die Volksfront zur Befreiung Palästinas sowie ein Kommando der deutschenRevolutionären Zellen   gekapert und in die ugandische Stadt Entebbe entführt. Bei der Befreiung der Geiseln  durch israelische Spezialeinheiten wurden 25 ugandische Soldaten getötet und ein wesentlicher Teil der ugandischen Luftwaffe zerstört.  Aber nicht nur diese Gewalttaten schrecken potenzielle Afrika-Interessente ab. Auch die radikale Haltung der Regierung gegen Andersdenkende hält viele davon ab, Uganda zu besuchen.

 

„Free condoms“ steht auf einem Schild, das in dem Ort Kabale auf etwas wie eine Apotheke hinweist. Kostenlose Kondome werden hier verteilt, zur Verfügung gestellt vom Internationalen Roten Kreuz und der Weltgesundheitsorganisation WHO. Als eines der ersten Länder Afrikas bekam Uganda die verheerenden Folgen der Aids-Epedemie zu spüren. Bis Ende 2001 sollen zählte das Land mehr als 940 000 Todesfälle. Im Zusammehang mit der Immunschwächekrankheit. Laut UNAIDS, dem Programm der Vereinten Nationen zur Reduzierung der HIV-Infektionen, erreichte 2005 die Zahl ugandischer Aids-Waisen eine Million. Auch heute noch stellt die Krankheit eine ernste Bedrohung da.

 

Zwar sind Aufklärungskampagnen im Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)  entwickelt worden, aber so lange Homosexuelle in Uganda auf das Schärfeste geächtet werden, sind Erfolge im Kampf gegen das HIV-Virus  zweitrangig. Wie zur Demonstration gehen zwei Männer Hand in Hand vor unserem Bus entlang. Sie kokettieren offenbar mit ihrer Homosexualität. Ausländern soll  verdeutlicht werden, dass gleichgeschlechtliche Liebespaare keine Angst haben vor Sanktionen haben. Und die sind gravierend. Homosexuellen droht künftig lebenslange Haft. Eine entsprechende Gesetzesvorlage wurde vor Kurzem vom Parlament in Kampala verabschiedet.

 

Wie stumpf die Gesetzvertreter ihrem Wahn verfallen, zeigte die Reaktion des Abgeordneten David Bahati. „Dies ist ein Sieg für Uganda und unsere gottesfürchtige Nation“, sagt der Politiker. An dem Gesetz wurde bereits seit 2009 gearbeitet. Ursprünglich war sogar die Todesstrafe für „Wiederholungstäter“ geplant. Dieser Passus wurde in der nun beschlossenen Gesetzesfassung gestrichen, wohl auch auf internationalem Druck. US-Präsident Barack Obama bezeichnete die Gesetzespläne als „abscheulich“ und „extrem“.  Auch die EU und Menschenrechtsorganisationen weisen darauf hin, dass Uganda den internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte ratifiziert hat, in dem jede Art von Diskriminierung untersagt wird. Dennoch wurden immer wieder Medienkampagnen gestartet, die gegen Homosexuelle hetzen und Zwangsoutings vollführen. Unterstützt werden solche Kampagnen oft von religiösen Führern oder Politikern. Uganda, das bereits seit  1986 von Yoweri Kaguta Museveni  regiert wird, schreckt trotz der zaghaften Entwicklung zu einem zivilisierten Staat vor Menschenrechtsverletzungen nicht zurück. 

Neugierige Kids.